Mitunter werde ich zum FVET dazugebeten, und im Gespräch merke ich, das ein Sterbefasten gar nicht das ist, was jetzt wirklich soll.

Eigentlich geht es um „So kann ich nicht leben“. Und dann frage ich mich, was nun meine Aufgabe ist. Meine letzte Qualifikation ist die zur Lebensamme/Sterbeamme und der Fokus lag doch eher auf der Sterbe- Trauer- Schmerz- Angst-Betrachtung.

Und ich bin kein Therapeut.

Was kann soll darf ich also tun, wenn ich die Verzweiflung meines Gegenüber (und erst Recht der Hinterbleibenden) sehe. Ich könnte einfach sagen „FVET wird bei dir nichts, dich hält zu viel am Leben“, meine Anfahrt abrechnen und fertig. Noch auf eine mögliche Therapieidee oder Lebensänderungsidee oder ähnlich hinweisen, dann habe ich meine Schuldigkeit getan und kann gut schlafen.

Was bringt mich dazu, oft trotzdem da zu bleiben?

Ich finde, dass ich verzweifelte Menschen nicht verlassen sollte, auch wenn ich vielleicht nicht die passende Lösung habe. Dann kann ich zumindest da sein, halten, aushalten, mich zuneigen zu der Person hin. Und dann sehen, was mir von aussen einfällt. Was ich als NichtMitleidender sehe. Und zum nächsten Therapie- oder Hilfs-Punkt zumindest begleiten.

Und ich kann die Option FVET trotzdem ausbreiten, die eventuelle Mühsal aufzeigen, die Vorbereitungen ansprechen und mit vorbereiten, ich kann mein Wissen zur Verfügung stellen und die Bereitschaft, das zu begleiten, wenn es denn so weit ist.

Und ich kann aushalten, wenn sich jemand mit dem Sterben auch aus freien Stücken beschäftigt, ich verstehe die Option FVET als Ausdruck selbstbestimmten Lebens.

Ein Beispiel

Ich fasse einmal überspitzt eine Geschichte einer Kundin zusammen:
„Ich, die ich so gut Bescheid weiß, die absolute Oberspezialistin, habe einer Behandlung zugestimmt, die schädlich für mich ist, die mich in der Konsequenz mein Leben lang begleiten wird, und an den möglichen Nebenwirkungen werde ich mein ganzes restliches Leben zu leiden haben. Dann lieber jetzt aus dem Leben gehen.“

Für mich klar: Voller Lebenswille, viel Kraft, Volle Verzweiflung, viel Leid. Ernährung ist jetzt noch mühsamer, diverse und diffuse Nervenschmerzen. Das Know How ist nach wie vor da und will verbreitet werden. Die Ernährung klappt mit Einschränkungen, die Waage klettert gaaanz laaangsam wieder in den Bereich des Überlebens. Sehe ich hier draußen, vor mir der Teller mit Linsensuppe, abgeschmeckt mit lecker Gewürzen, Apfel drin, Tofuwürstchen, und dazu ein Bier.

Dazu kommt, das große BauchOP‘s oft zu sehr psychisch aktiven Aufwachphasen neigen, der Darm wird ja auch als zweites Gehirn bezeichnet. Und das war wohl bei der Kundin sehr psychisch aktiv, bis hin zu aktiven Suizid-Gedanken-Versuchen. Und nun ist natürlich nicht nur die Angst vor den möglichen Auswirkungen (10% Loch im Darm, mindestens 50% Bakterienüberwucherung im Altarm, 30% Darmträgheit, …) sondern auch die Angst vor dem nächsten psychischen Abgleiten und die Scham, als Spezialistin unklug entschieden zu haben und natürlich durch die Arbeit und etliche teuren Therapien das schwinden der Altersrücklagen und die Idee, den Angehörigen kein weiteres Leid zuzufügen und und und.

Luft holen.

Der letzte Satz ist absichtlich so lang so wirr, weil das ist genau das Gefühl, das die Kundin umtreibt.

Darf ich sie in den gewählten Tod begleiten?

Natürlich ist die Frau frei verantwortlich, das sagt auch ihr lange behandelnder Arzt.

Natürlich will die Frau nicht sterben, sondern Leben! (aber so?)

Natürlich will die Familie nicht, das sie stirbt.

Darf ich sie in den gewählten Tod begleiten?

Na ja, ich darf sie begleiten, wohin sie auch geht. (Keine SuizidAssistenz!) Und wenn ich sie in ihrem Leben begleite, und das mit dem Tode endet, – wer, wenn nicht ich?