Phasen des Sterbefasten

So richtige Phasen lassen sich nicht genau festmachen. Wie beim Trauern, bei dem früher auch Trauerphasen postuliert wurden, ist die Wissenschaft sich heute einig, dass es eher Phänomene sind, weil jedes Phänomen mit anderen zusammen kommen kann, und immer einmal wieder auftauchen kann.

Trotzdem benutze ich nun das Wort Phase. Und ich beschreibe dabei auch kurz, ob und was meine Aufgabe dabei sein kann.

Phase Null – Erkennen der Alternativen

Ich stelle fest, das mein Leben nicht mehr lebbar erscheint.

Das Thema „aktiv aus dem Leben gehen“ erschreckt mich nicht mehr, ich freunde mich damit an. Weitere Therapieschritte, die mir angeboten werden, bekommen plötzlich eine Konkurrenz: Ich kann ja auch gehen.

Phase Eins – Suchen von Möglichkeiten

Ich erkundige mich, ich lese im Internet, ich spüre einmal hin – Suizid ist plötzlich ein Wort aus meinem Suchverlauf. Die unterschiedlichen Sterbehilfevereine, ein vorsichtiges Gespräch mit der Hausärztin, nebenbei im Familien- und Freundeskreis einmal darüber gesprochen, dass es neben (Nicht-)Heilung und Siechtum auch Abschied geben kann… Und dann taucht da Sterbefasten als Vokabel immer wieder auf.

Phase Zwei – Detaillierte Informationen zu den Möglichkeiten sammeln

Zu jeder Möglichkeit, das eigene Leben zu beenden, gibt es Vor- und Nachteile.

Das Sterbefasten kenne ich gut, da kann ich zu erzählen, was auf dich zukommen kann. Lediglich verallgemeinernd, weil jeder Mensch anders ist und jedes Leben am Ende anders verläuft.

Ich setze mich mit dir hin, wir reden ein wenig über Gott und die Welt, deine Gründe, deine soziale Situation (Familie, Dorf, …). Dann entwickele ich mit dir ein mögliches Szenario, sehr gerne gemeinsam mit den wichtigen Menschen aus deinem Umfeld.

Phase Drei – Sacken lassen

Jetzt, mit allen Möglichkeiten auf dem Tisch der Entscheidung ist erst einmal Ruhe nach außen, aber auch große Ruhe in dir, weil du merkst, dass du noch handlungsfähig bist.

Bislang kamen Einschläge von außen, und jetzt bist du dran.

Dies oder das, und die Frage: Wenn ich jetzt die Möglichkeit sehe – muss ich sie dann sofort nutzen?

Phase Vier – Entscheidung für den Weg

Du hast dich entschieden. Du gehst den Weg des Sterbefasten .

Du sagst mir Bescheid, wir weinen ein wenig gemeinsam und bereiten dann voller Zuversicht alles vor, was vorbereitet werden kann. Wir sammeln notwendige Formulare beisammen, reden noch einmal über Geld und du versuchst, gerne mit meiner Hilfe, deine behandelnden Ärzte mit ins Boot zu holen.

Phase Fünf – Starttermin festlegen

Du hast jetzt klar, das Sterbefasten dein Weg ist, und hast die Unterstützung gefunden, die du bekommen kannst.

Du hast deinem Umfeld in Phase Zwei mitgeteilt, was dein Weg ist, und eigentlich waren alle dagegen. Doch jetzt, wo du den Termin festlegst, kommt auch bei deinen Lieben die Akzeptanz. Und der Wunsch, auf besondere Tage Rücksicht zu nehmen.

Wenn ich dich begleiten soll, muss ich auch in meinem Kalender etwas finden.

Du wirst ganz ruhig, weil jetzt langsam Klarheit in dir ankommt, du merkst, das ein Druck von dir abfällt.

Ab jetzt sollte immer (das sind ungefähr 24 Stunden am Tag! Sieben Tage die Woche!) jemand bei dir sein, zumindest in Rufnähe.

Phase Sechs – Start – mit dem letzten Essen

Nun geht es los. Etwas Angst verdrängt die Ruhe aus der letzten Phase.

Bachus-Way – Alternative 1

Das letzte Essen, das letzte Glas Wein ohne Milliliter zählen, das letzte Mal „ach den Schluck trinke ich nachher“, Quasi Tag Minus Eins

Am Tag nach dem großen Essen isst du normale leichte Kost, vielleicht noch einmal exotisch.

Am nächsten Morgen abführen mit Klistier.

Wenn schon denn schon – Alternative 2

Du isst eh nicht mehr so viel, es schmeckt schon länger nicht mehr – du knabberst an deinem Möhrchen und bist auch zufrieden. Morgens abführen mit Klistier, Möhre weglegen.

Hungergefühl

Ja, das kommt. Du kennst das vielleicht von bisherigen Fastenkuren, und weil du es erwartest, ist das nicht schlimm. Vielleicht etwas ablenken, aber eigentlich: Das geht wirklich schnell vorbei.

Durst

Ja. Durst begleitet dich jetzt durch dein Leben. Mit guter Mundpflege[Link] wird es aushaltbar, gut aushaltbar.

Medikamente

Notwendige Medikamente werden jetzt umgestellt entweder auf Zäpchen oder auf Spritzen. Meist wird in die Haut am Oberschenkel eine kleine Nadel gelegt, in die wir über einen Schlauch die notwendigen Medikamente spritzen, ohne jedesmal in die Haut pieken zu müssen.

Phase Sieben – Hoch-Zeit und Last Exit

Wie oben beschrieben, gibt es das FastenHigh. Es geht dir gut, deine Entscheidung war richtig. Du merkst, wieviel gutes dir von deinen Umgebenden zufliesst.

Und kommst dann in Zweifel, wenn deine Entscheidung nicht fest ist, wenn du aus einer miesen Stimmung heraus entschieden hast (aber meist ist der Weg bis hier schon klar und fest).

Und du weißt, wir haben das besprochen, du kannst aufhören mit dem Sterben und weiterleben. Jetzt noch mit der zugehörigen Aufgabe, das Aufhören des Sterbefasten nicht als Scheitern zu betrachten, sondern als proaktive Entscheidung für das Leben.

Gute und intensive Mundpflege, manchmal alle 30 Minuten, ist jetzt total wichtig für dein Wohlergehen. Vielleicht ist jetzt der Moment gekommen, wo ich bei dir mit einziehe. Oder jemand anderes. Aber du möchtest, das immer jemand parat ist, wenn auch nicht immer neben dir.

Ob du jetzt noch aktive Besucher haben möchtest, entscheidest du von Minute zu Minute, deine Kraft wird weniger, du döst viel, bist aber noch komplett dabei.

Phase Acht – unumkehrbar war gestern

Irgendwann riecht dein Urin anders, dann hat die Niere am Tag vorher aufgegeben, und der Prozeß ist unumkehrbar, weil du mit Nierenversagen aus Sterbefasten weder an eine Dialyse noch in das Transplantationsregister kommst.

Dieses unumkehrbar macht auch mit dir etwas: Meist ist jetzt noch einmal ein Moment „wie gut, es geht voran“ und du wirst noch freier.

Stoffe aus der Niere sorgen für ein gutes dämmeriges Grundgefühl, reden fällt dir schwer, aber es ist ja auch alles gesagt. Du bist nicht betäubt, sondern dämmerig, erweckbar, aber oft schlafend.

Ich oder dein Freundeskreis sorgen für ein warmes Zimmer, oft hast du ein Bedürfniss nach Berührung, oft möchtest du nicht alleine im Bett liegen. Wir wissen das, wir sind alle offen, dich zu berühren, dich zu halten. Wir drehen dich mehrmals am Tag um, damit du dich nicht wundliegst, weiter gibt es die wichtige Mundpflege. Wenn du magst, lesen wir vor, singen, beten – alles im Prinzip vorher besprochen, jetzt probieren wir, deine Vorstellungen und Wünsche zu erfüllen.

Phase Neun – Tot

In der Regel unbemerkt oder zumindest unerwartet bist du dann tot. Meist mit Lächeln im Gesicht, still, „ohh, jetzt schon“.

Ja, in den letzten Stunden hast du vielleicht etwas geröchelt, aber bei Sterbefasten nicht immer vorhanden, dieses für die Umstehenden quälende, aber für dich unbemerkte Todesröcheln. Dein Atemrhythmus war zuletzt schon mit Pausen, aber du hast immer Luft geholt, wenn du es brauchtest, aber ein weniger funktionierender Körper hat ja auch weniger Sauerstoffbedarf.

Wir lassen dich jetzt in Ruhe, es wird noch ein oder zwei Atemzüge geben, ich räume etwas auf, entzünde eine Kerze und öffne das Fenster. Andacht-Zeit. Weinen. Erleichtert sein, das es so einfach war. Tee trinken, jetzt auch wieder an deinem Bett.

Ritueller Abschied bei einer liebevollen Waschung, frische Kleidung an, Freunde und irgendwann auch den Hausarzt anrufen, Bestatter informieren.

Ruhe.

Beispiele

  • Ängie (Kunstname) mit einer Art ALS hat sich am Wochenende informiert, hat festgestellt, das der Weg in die Schweiz mit 10.000€ und halbem Jahr Wartezeit für sie nicht gangbar war. Daraufhin hat sie am Montag Ihrem Kind mitgeteilt „Ich mache seit gestern Sterbefasten, sag mal deinem Geschwister Bescheid.“
    Das Kind hat dann die Hausärztin und einen Palliativ-und Hospizdienst informiert, und die haben mich dann gefragt, ob ich koordinieren kann.
    Dann hat Ängie zwei Wochen lang immer mit dem Fuß aufgestampft und gesagt, dass sie jetzt sterben wolle, aber das hat erst geklappt, nachdem Sie nicht mehr wollte, sondern gleiten konnte.13 Tage gefastet, davon 10 Tage ärgerlich, dass sie nicht stirbt.

  • Wölfi (Kunstname) hatte vor Jahren Krebs, Magensonde. Seit Oktober war das auch nur schluckweise trinken unmöglich. Immer klar gehabt: Ich bringe mich nicht um, ich höre auf zu leben.
    Im November Initialgespräch mit der Frage: „Wie kannst du mich begleiten?“ Ich habe gesagt, ich ziehe ein und bin 24/7 da.
    Im November Ansage: „am 6.1. fange ich an“,
    am 4.1. Frage, ob ich ab Morgen da sein kann, ich konnte, ich hatte ja planen können.
    Am 6.1. letzte Mahlzeit, am 18.1. morgens noch einmal selber zur Toilette, gegen 10:oo fragte die Putzfrau „Ihnen muss es doch schlecht gehen“, worauf er sagte „ Nein, gut, jeden Tag komme ich dem Tod näher – ohne Leid“ und um 13:xx war er tot.