Botschafter für würdevolles Sterben
Ganz schön hochtrabend, so auf den ersten Blick.
Aber doch, lass mich erzählen, wie ich meine Arbeit auffasse:
Botschafter …
Wann immer ich in welchem Zusammenhang auch kann, stupse ich meine Mitmenschen an, darüber nachzudenken, wie das eigene Sterben wohl aussehen mag. Ich rede über Patientenverfügung, Sterbefasten, Sterben, Begleitungen.
Ich mache das, was ich wichtig finde: Den Tod aus der stillen dunklen Ecke in das Tageslicht zerren. Darüber reden, dass Du eine Möglichkeit hast, Dein Sterben zu gestalten.
… für würdevolles Sterben
Ganz oft versuchen wir, die wir erst einmal überleben werden (Angehörige, Freunde, Pflegende, …) zu wissen, was Du als sterbender Mensch jetzt gerade brauchst, was gut für Dich ist.
Aber, wenn wir Dich ansehen würden… Einige Beispiele:
– Anruf aus dem Heim: „Ihre Mutter hat so lange Atempausen, gleich stirbt sie.“ Frau S. ist ganz aufgeregt hingefahren und hat mir dann am Telefon gesagt, dass das ganz schwer auszuhalten sei. Ich habe gelernt, den Atemrhythmus mitzuatmen und das dann Frau S. angeboten. Außerdem habe ich darauf hingewiesen, das Gesicht der Mutter zu beobachten. Frau S. konnte sehen, dass das Gesicht ganz entspannt war, und hat dann beim Mitatmen mit ihrer Mutter gemerkt, dass das ganz gut auszuhalten ist, wie ihre Mutter atmet.
– Anruf aus dem Heim: „Ihre Mutter röchelt so. Gleich stirbt sie.“ Frau S. hat ihrer Mutter in das Gesicht gesehen, es war ganz entspannt. So ist es denn gut.
– Im Heim: „Sie kann keine Schmerzen haben, sie hat doch gerade xyz bekommen.“ Blick in das Gesicht – schmerzverzerrt. „Da müssen wir dann doch etwas tun.“
– Zu Hause: Sie bringt täglich ein warmes Essen, seine ganzen Lieblingsgerichte. Er sagt, er habe keinen Hunger. Sie sagt „Mir zuliebe, du musst doch was essen.“ Er „Na gut, einen Löffel“. Er isst, sie räumt ab. Er geht mit dem Finger in die Wangentasche, holt das Essen raus, in ein Taschentuch, in den Müll. Meine Bitte: Beachte Rezept 5 meines „letzten Kochbuches„
– Frau H., eine meiner ersten Begleitungen, alleine lebend. Sie liegt im Schlafzimmer. „So, junger Mann, nun müssen Sie aber aus meinem Schlafzimmer raus.“ Schlafzimmer betont. Nach zwei Minuten „Junger Mann, kommen Sie mal, [irgendwas].“ „So, junger Mann, nun müssen Sie aber aus meinem Schlafzimmer raus.“ Immer wieder. Bis ich die Idee hatte, was ihr fehlt und wie das geht. Ich habe ihr gesagt, dass das mit den ganzen Pflegeutensilien und ihrer Krankheit eigentlich eher ein Krankenzimmer sei, und ich sie jetzt in ihrem Krankenbett beim Atmen etwas mit Physiotherapie unterstütze. Und dann ist sie in meinen Armen ruhig gestorben.
– R., skeptisch, ob ich ihn die Nacht gut begleiten kann, weil er nur noch schlecht reden, nicht mehr rufen kann, und eine Klingel auch nicht bedienen kann. Im Zimmer kein Platz für einen Stuhl für mich, das Wohnzimmer weit weg. Ich biete an, dass ich mich mit in das Ehebett lege, da höre ich ihn sofort. Das klappte gut.
Ich finde, damit ist beschrieben, was meine Arbeit ausmacht: Ich versuche, Dich zu verstehen. Dazu muss ich ganz bei mir sein, in mir ruhen, dann bin ich nicht mehr wichtig, sondern kann den Fokus auf Dich legen: Was brauchst Du. Weil es mir gut geht, kann ich Dir geben.
Gib mir die Chance, Nein zu sagen.
Ich sorge für mich, ich kenne und überschreite immer wieder (nicht nur meine) Grenzen, aber ich bin für mich verantwortlich. Darum: Wenn Du mich etwas fragen möchtest, aber glaubst, das ist zu viel: Frag mich. Wenn Du ein Problem hast, und es ist Sonntag oder mitten in der Nacht: Ruf mich an. Wenn ich gesagt habe „Ich mache meist nur drei Nächte, dann erst mal Pause“ und Du Dir die vierte Nacht nicht zutraust: Sag es mir.
Nur wenn Du mich fragst, kann ich entscheiden. Wenn Du mich nicht fragst, entmündigst Du mich.
Halten
Wenn ich Angehörige begleite, dann ist meine Art, Halt zu geben, ganz unterschiedlich. Manche Angehörige sehe ich in wochenlangen Begleitungen kein einziges Mal. Andere Familien haben mich bei der Weihnachtsfeier mit dabei. Die Angehörigen können sich am Telefon oder in der Videokonferenz bei mir anlehnen, oder von mir im Arm gehalten werden, wenn wir zusammen sind.
Die Begleitung von sterbenden Menschen bedeutet (fast) immer Nähe, Brechen von Intimgrenzen. Wenn ich jemanden auf Toilette begleite, gibt es nicht viel, was näher ist. Wenn ich jemanden im Bett umlagere, bin ich mit im Bett. Wenn jemand keine Kraft mehr hat, um zu sitzen, aber wegen der Luftnot sitzen möchte, dann sitze ich dahinter und halte den Menschen. Wenn ich die verordneten Medikamente in den Oberschenkel spritze, dann ist der Oberschenkel nackt. Das gehört dazu. Das kann ich gut aus-halten. Bislang habe ich mit allen Sterbenden gut hinbekommen, dass diese das auch gut aushalten konnten.
Und nicht zuletzt ist es ein gutes Gefühl für viele Menschen, wenn in „Stillen Schweren Stunden“ jemand einfach nur da ist und die Hand hält – dieses Symbol sollen die haltende und die gehaltene Hand im Logo nachbilden.
Das waren Beispiele, wie ich meine Arbeit sehe. Wie andere meine Arbeit einschätzen, siehst Du hier.