​Wie geht Sterben

Bitte erwarte hier keine exakte pathophysiologische Beschreibung, sondern eher die für eine gute Sterbebegleitung relevanten Aspekte, um sich nicht so verloren vorzukommen.

Ich beschreibe chronologisch, sodass einige Überschriften mehrfach vorkommen. Und ich beschreibe das Sterben am Ende eines Lebens, nicht das durch Unfall oder sonstige Traumata bedingte Sterben.

Beginn und Ende des Sterbens

Sterben ist ein Prozess, der damit endet, dass der Körper nicht mehr funktioniert. Es gibt keinen greifbaren Startpunkt, wann das Sterben bei einem natürlichen Tod beginnt. Und es gibt auch nicht den absoluten Zeitpunkt, wann der Tod wirklich da ist, weil ja beispielsweise nach einem Herzstillstand zwar nach 3-5 Minuten ohne Sauerstoffversorgung das Gehirn irreversibel geschädigt ist und zu Grunde geht. Die Herzmuskeln hingegen können noch 15 Minuten weiter leben, Lunge und Magen-Darm-Trakt bis zu einer Stunde.

Wahrnehmung

Sterbende Menschen hören bis zum Schluss, aber es wird immer mehr zum Wahrnehmen. Also die Stimmlage, die Aufgeregtheit, die Intention – das wird bis zum Ende wahrgenommen. Das Wortverständnis wird weniger, und leise gesprochene Sätze gehen eher unter. Das liegt auch daran, dass es wohl so eine Art „Knochengehör“ gibt, also ein Ganzkörperhören wie in der Embryonalphase.

Das Sehvermögen wird weniger, auch weil die Menschen immer mehr austrocknen, und daher die Füllung der Augäpfel etwas abnimmt.

Dazu kommt dann das für Außenstehende manchmal sehr irritierende „Abspielen von Erinnerungen“, die wir manchmal als Halluzinationen werten.

Das Schmerzempfinden verändert sich – in die eine oder auch in die andere Richtung. Wundgelegene Stellen nehmen Sterbende mitunter gar nicht oder aber viel intensiver wahr.

Nahrung

Hunger und Durst werden weniger. Bei älteren Menschen ist der Bereich im Gehirn, der für die Durstempfindung zuständig ist, deutlich weniger aktiv. Und durch das Verlangsamen aller Stoffwechselvorgänge ist der Bedarf an Kalorien deutlich niedriger, der Hunger wesentlich geringer.

Wahrnehmung

Durch den Hunger kommt es zur Ausschüttung von Endorphinen, ein von allen Fastenversionen bekanntes Phänomen, wodurch sich ein psychisches Hochgefühl einstellen und dadurch der Schmerzmittelbedarf reduziert sein kann.

Kreislauf

Der Blutkreislauf reduziert sich, die Peripherie wird weniger versorgt, die wichtigen Organe wie Hirn, Herz und Lunge werden priorisiert versorgt, Hände und Füße werden kälter.

Das Herz wird meist langsamer, obwohl ja eigentlich alles ganz aufregend ist. Auch der Blutdruck wird niedriger. Es kommt mitunter zu vielen Extraschlägen des Herzens, die schöne Regelmäßigkeit ist vorbei.

Ausscheidung

Da weniger Blut durch die Nieren fließt, scheiden die Nieren auch weniger aus. Der Urin wird konzentrierter und damit dunkler, aber er riecht nicht anders.

Durch den verringerten Hunger wird weniger Nahrung zugeführt, es gibt weniger zu verdauen. Es ist nicht selten, dass Sterbende nur noch alle 3-7 Tage Stuhlgang haben, der farblich auch anders werden kann, weil zum Beispiel die Galleproduktion zurückgeht und damit die typische Farbe fehlt.

Achtung! Viele Abführmittel sind letztlich Quellprodukte, die mit einer Mindestmenge Wasser zusammen genommen werden müssen. Besser als solche Abführmittel sind dann Klistiere, wenn denn überhaupt noch etwas Abführendes gemacht werden muss. Das bestimmt aber nicht die Statistik („Ohh je, schon drei Tage nicht auf Klo“), sondern das Empfinden der sterbenden Person.

Bewegung

Nun kommt eventuell eine Phase der vermehrten Motorik, fahrige Bewegungen der Arme, Versuche, aufzustehen.

Wahrnehmung

Jetzt kann es sein, dass sich die sterbende Person mit dem Kopf immer auf die Bettkante legt, oder ans Bettgitter ankuschelt. Wir Umgebenden versuchen dann, das abzupolstern. Bitte nicht! Das ist ein Phänomen, das noch nicht ganz geklärt ist, aber ich glaube, dass das der Versuch ist, noch einen Bezug zu dem Hier herzustellen, das Leben noch – auch in der Härte – wahrzunehmen. Wir lagern ja schon die ganze Zeit alles weich, und es gibt keine Ecken und Kanten mehr. Kein Gürtel, der drückt, keinen BH, der einschneidet, keinen Schuh, der etwas zwickt. Um zu spüren, das ich lebe, brauche ich auch den Widerstand.

Atmung

Alles ist möglich: Tiefe, unregelmäßige Atemmuster. Flaches, fast nicht wahrnehmbares Atmen. Mischformen.

Und dann das Rasseln, Röcheln.

Alles darf sein, meist muss nicht eingegriffen werden. Atme einmal zusammen mit dem sterbenden Menschen, übernimm seinen Atemrhythmus und sieh in sein Gesicht: Meist passt das oft entspannte Gesicht nicht zu den Geräuschen und unseren Vorstellungen. Sollte dagegen doch Leid im Gesicht stehen oder Angst, dann ist es jetzt ein guter Moment für Folgendes: Ruhig zureden, zum Zeichen, dass Du da bist. Medikamente, die die Angst und Atemnot lindern, verabreichen. Wenn es passt, körperliche Nähe, die gerne auch kraftvoll sein darf.

Das sogenannte Todesröcheln lässt sich nicht absaugen oder durch Umlagern beseitigen.

Ausscheidung

Jetzt ist so langsam der Moment, dass die Niere nicht mehr gut durchblutet wird und das Gewebe untergeht, der Urin fängt an, anders zu riechen. Die Ausatmung hinterlässt einen leichten Acetongeruch.

Wahrnehmung

Der Sterbende wird bewusstlos, nimmt aber noch wahr. Sprich bitte weiter, erzähle was Du tust, singe, summe, töne – und berühre. Die Berührung darf ruhig fest sein, ein kleines zartes Streichen über den Unterarm könnte auch eine Spinne sein, aber eine feste Hand auf dem Unterarm ist eindeutig und bekannt.

Kreislauf

Jetzt geht es rapide mit den Funktionen herab: Die Füße werden blau, die Hände oder Finger auch.

Das Gesicht wird weniger durchblutet, das sogenannte Todesdreieck um die Nase ist weiß.

Herzschläge sind nur noch sehr spärlich.

Atmung

Wenige Atemzüge, oft mit deutlichen Pausen.

Ausscheidung

Schon lange wird nichts mehr ausgeschieden, Giftstoffe im Körper sammeln sich an, das Gehirn wird quasi betäubt.

Kreislauf

Aus. Ganz vereinzelt noch im EKG sichtbare Herzschläge , aber kein Puls mehr.

Atmung

Aus. Irgendwann entweicht noch die letzte Luft aus den Lungen. Manchmal zum Erschrecken der Umstehenden.

Diesseits–Jenseits–Weg

Was können wir Angehörigen jetzt tun? Ruhig sein, entspannen. Fenster auf, Kerze an. Da sein. Weitere Ideen gibt es hier.

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