Phasen des Sterbefasten
Klar abgegrenzte Phasen lassen sich nicht genau festmachen. Wie beim Trauern, bei dem früher auch Trauerphasen postuliert wurden, ist die Wissenschaft sich heute einig, dass es eher Phänomene[Link Chris Paul] sind, weil jedes Phänomen mit anderen zusammen kommen und immer einmal wieder auftauchen kann.
Trotzdem benutze ich nun das Wort Phase. Und ich beschreibe dabei auch kurz was meine Aufgabe dabei sein kann, wenn es denn eine gibt.
Ich beschreibe diese Phasen hier fokussiert auf das Sterbefasten. Die ersten Phasen gelten für alle Phasen der Entscheidung Leben oder Sterben. Erst ab der fünften Phase geht es ausschließlich um FVET. Dennoch finde ich, dass die Auseinandersetzung mit dem Sterbefasten in dem Moment beginnt, wo sich jemand auch potentiell dagegen entscheidet.
Phase Null – Erkennen von Alternativen zum weiteren Leben
Du stellst fest, das dein Leben nicht mehr lebbar erscheint.
Das Thema „aktiv aus dem Leben gehen“ erschreckt dich nicht mehr, du freundest dich damit an. Weitere Therapieschritte, die dir angeboten werden, bekommen plötzlich eine Konkurrenz: Du kannst ja auch gehen.
Phase Eins – Suchen von Möglichkeiten zu sterben oder zu leben
Du erkundigst dich, du liest im Internet, du spürst einmal hin – Suizid ist plötzlich ein Wort aus deinem Suchverlauf. Du kennst nun die unterschiedlichen Sterbehilfevereine, führst ein vorsichtiges Gespräch mit der Hausärztin, hast nebenbei im Familien- und Freundeskreis einmal darüber gesprochen: es kann neben (Nicht-)Heilung und Siechtum auch Sterben geben… Und dann taucht da Sterbefasten als Vokabel immer wieder auf.
Phase Zwei – Detaillierte Informationen zu den Möglichkeiten des Sterbens sammeln
Du informierst dich über die Vor- und Nachteile der Methoden, das eigene Leben zu beenden.
Das Sterbefasten kenne ich gut. Ich kann informieren, was auf dich zukommen kann. Lediglich verallgemeinernd, weil jeder Mensch anders ist und jedes Leben am Ende anders verläuft.
Wenn du mich engagierst, setze ich mich mit dir hin, wir reden ein wenig über Gott und die Welt, deine Gründe, deine soziale Situation (Familie, Dorf[Link Dorf], …). Dann entwickele ich eventuell mit dir ein mögliches Szenario, sehr gerne gemeinsam mit den wichtigen Menschen aus deinem Umfeld.
Phase Drei – Sacken lassen
Jetzt hast du alle Möglichkeiten auf dem Tisch der Entscheidung. Es ist erst einmal Ruhe nach außen, aber auch große Ruhe in dir, weil du merkst, dass du noch handlungsfähig bist.
Bislang kamen „Einschläge“ (Diagnosen, Therapievorschläge, …) von außen und jetzt bist du dran, du kommst ins Handeln.
Mit der Fülle der Möglichkeiten taucht auch die Frage auf: Wenn ich jetzt eine Möglichkeit sehe – muss ich sie dann sofort nutzen? Meist gibt es einen Zeitraum zwischen der Information und der Entscheidung und das ist gut so, weil mit einer Entscheidung kommen vielleicht Zweifel auf. Oder die Entscheidung verfestigt sich, stellt sich als zwar brutal (zum Beispiel Suizid) aber richtig heraus.
Phase Vier – Entscheidung für den Weg des Sterbefastens
Du hast dich entschieden. Du gehst den Weg des Sterbefasten.
Wenn du mich als deinen Sterbebegleiter wählst, weinen wir ein wenig gemeinsam und bereiten dann voller Zuversicht alles vor, was vorbereitet werden kann. Wir sammeln notwendige Formulare und füllen diese entsprechend aus, reden über entstehende Kosten und du versuchst, gerne mit meiner Hilfe, deine behandelnden Ärzte mit ins Boot zu holen.
Phase Fünf – Starttermin festlegen
Sterbefasten ist dein Weg ist und du hast die Unterstützung gefunden, die du bekommen kannst.
Du hast deinem Umfeld deinen Weg mitgeteilt, vielleicht waren alle dagegen. Doch jetzt, wo du den Termin festlegst, kommt auch bei deinen Lieben die Akzeptanz und der Wunsch, auf besondere Tage Rücksicht zu nehmen.
Du wirst ganz ruhig, weil jetzt langsam Klarheit in dir ankommt, du merkst, dass Druck von dir abfällt.
Wenn ich dich begleiten soll, muss ich auch in meinem Kalender den Zeitraum freihalten.
Phase Sechs – Start – mit dem letzten Essen
Du gehst nun los. Deine Ruhe aus der letzten Phase wird von etwas Angst überlagert.
Alternative 1: opulentes Abschiedsessen
Das letzte Essen, das letzte Glas Wein ohne Milliliter zu zählen, das letzte Mal „ach den Schluck trinke ich nachher“.
Am Tag nach dem großen Essen isst du normale leichte Kost, vielleicht noch einmal etwas Besonderes.
Am nächsten Morgen: abführen mit Klistier.
Alternative 2: Wenn schon denn schon / essen einfach aufhören
Du isst eh nicht mehr so viel, es schmeckt schon länger nicht mehr – du knabberst an deinem Möhrchen und bist auch zufrieden. Morgens abführen mit Klistier, Möhre weglegen.
Ab jetzt sollte immer (das sind 24 Stunden am Tag! Sieben Tage die Woche!) jemand bei dir sein, zumindest in Rufnähe.
Hungergefühl
Ja, das kommt. Du kennst das vielleicht von bisherigen Fastenkuren und weil du es erwartest, ist das für viele Menschen nicht schlimm. Vielleicht etwas ablenken, aber eigentlich: Das geht wirklich schnell vorbei, ist meine Erfahrung.
Zum vergehenden Hungergefühl kommt ein Phänomen, das als Fasten-High beschrieben wird: Durch die Ausschüttung von unterschiedlichen Botenstoffen kommst du in eine fast euphorische Stimmung.
Durst
Ja. Durst begleitet dich jetzt durch dein Leben. Mit guter Mundpflege[Link] wird es aushaltbar, gut aushaltbar.
Medikamente
Notwendige Medikamente werden jetzt umgestellt entweder auf Zäpfchen oder Spritzen. Meist wird in die Haut am Oberschenkel eine kleine Nadel gelegt, in die über einen Schlauch die notwendigen Medikamente gespritzt werden, ohne jedes mal in die Haut pieken zu müssen.
Phase Sieben – Hoch-Zeit und Last Exit
Wie oben beschrieben, gibt es das FastenHigh. Es geht dir gut, deine Entscheidung war richtig. Du merkst, wie viel Gutes dir von deinen dich Umgebenden zufließt.
Gute und intensive Mundpflege, manchmal alle 30 Minuten, ist jetzt total wichtig für dein Wohlergehen. Vielleicht ist jetzt der Moment gekommen, wo ich bei dir 24 Stunden mit in der Wohnung sein kann. Oder jemand anderes. Weil du möchtest, dass immer jemand parat ist, wenn auch nicht immer neben dir.
Ob du jetzt noch Besucher haben möchtest, entscheidest du von Minute zu Minute. Deine Kraft wird weniger, du döst viel, kannst aber geistig noch komplett teilnehmen.
Meist ist der Weg bis hier schon klar und fest. Wenn deine Entscheidung aber nicht fest ist , wenn du aus einer verzweifelten Stimmung heraus entschieden hast, kommst du jetzt in Zweifel. Und du weißt, wir haben das besprochen, du kannst aufhören[Link] mit dem Sterbefasten und weiterleben. Jetzt noch mit der zusätzlichen Aufgabe, das Aufhören des Sterbefastens nicht als Scheitern zu betrachten, sondern als proaktive Entscheidung für das Leben.
Phase Acht – Umkehrbar war gestern
Irgendwann riecht dein Urin anders, dann hat die Niere am Tag vorher aufgegeben und der Prozess ist unumkehrbar. Du kommst mit Nierenversagen wegen Sterbefasten weder an eine Dialyse noch in das Transplantationsregister.
Diese Unumkehrbarkeit macht auch mit dir etwas: Meist ist jetzt noch einmal ein Moment von: „Wie gut, es geht voran!“ und du wirst noch freier.
Stoffe aus der Niere sorgen für ein gutes dämmeriges Grundgefühl. Reden fällt dir schwer, aber es ist ja auch alles gesagt. Du bist nicht betäubt, sondern dämmerig, erweckbar aber oft schlafend.
Ich und deine anderen dich Begleitenden sorgen für ein warmes Zimmer. Oft hast du ein Bedürfnis nach Berührung, oft möchtest du nicht alleine im Bett liegen: Wir wissen das, wir sind alle offen, dich zu berühren, dich zu halten. Wir drehen dich mehrmals am Tag um, damit du dich nicht wundliegst. Weiter gibt es die wichtige Mundpflege. Wenn du magst, lesen wir vor, singen, beten – alles im Prinzip vorher besprochen. Jetzt probieren wir, deine Vorstellungen und Wünsche zu erfüllen.
Phase Neun – Tot
In der Regel unbemerkt oder zumindest unerwartet bist du dann tot. Meist mit Lächeln im Gesicht, still, „ohh, jetzt schon“. Bei Sterbefasten ist das „Todesröcheln“ nicht immer vorhanden, weil die Schleimhäute so trocken sind. Falls das „Todesröcheln“ auftritt, ist das für die sterbende Person nicht wirklich störend, weil dabei wenig Schleim in der Luftröhre sehr laute Geräusche aber wenig Behinderung macht. So klingt das für die Zugehörigen oft erschreckend, lässt sich aber nicht absaugen oder sonstwie beseitigen. Dein Atemrhythmus war zuletzt schon mit Pausen, aber du hast immer Luft geholt, wenn du es brauchtest. Ein weniger funktionierender Körper hat weniger Sauerstoffbedarf. Irgendwann ist die Pause für immer, du bist gestorben.
Wir lassen dich jetzt in Ruhe. Es wird noch ein oder zwei Atemgeräusche geben. Ich richte das Zimmer so her, dass es ein ruhiger Anblick ist, die Atmosphäre angenehm. Pflegeutensilien verschwinden in der Ecke. Ich entzünde eine Kerze und öffne das Fenster. Andacht-Zeit. Weinen. Erleichtert sein, dass es so einfach war. Tee trinken, jetzt auch wieder an deinem Bett.
Je nach Wunsch ist jetzt der Moment, der Weltanschauung entsprechende Rituale, wie zum Beispiel eine Aussegnung, durchzuführen. Oder eine ritueller Waschung als liebevollen Abschied. Vielleicht frische Kleidung an, Freunde und irgendwann auch den Hausarzt anrufen, Bestatter informieren.
Ruhe.