Ein Rezeptbuch für Angehörige
Der Schwerkranke stirbt nicht, weil er nichts isst,
sondern er isst nichts, weil er stirbt!
Am Ende des Lebens nehmen alle Vitalfunktionen ab, so auch der Appetit und das Hungergefühl. Es wird immer weniger Energie gebraucht für Bewegung oder Heilung, die Organe stellen allmählich ihre Funktion ein. Durch die Nahrungsaufnahme kann der Organismus zusätzlich belastet werden, weil die Nahrung nicht mehr so gut in Energie umgewandelt werden kann.
Manche Krebserkrankung führt nicht nur über großen Energiebedarf zur Auszehrung, sondern auch, weil andere Körperzellen Nahrung nicht mehr aufnehmen können. Das kann auch durch hochkalorische „Astronautenkost“ nicht ausgeglichen werden.
Auch die Gabe von Infusionen als Ernährung kann eher belasten als helfen, Flüssigkeit wird oft eingelagert und führt eventuell zu Luftnot, Übelkeit und Unwohlsein.
Das alles sind Bedingungen, unter denen Nahrung am Ende des Lebens betrachtet werden sollte und auf die sich die folgenden Rezepte beziehen.
Rezept 1 – Wünsch Dir was
Serviere das, was gefällt. Diäten dürfen jetzt außer Acht gelassen werden. In Angesicht des Todes musst Du keine Rücksicht darauf nehmen, welche Einschränkungen bisher galten. Auch Alkohol zum Frühstück ist erlaubt.
Rezept 2 – Klein ist fein
Koche kleine Portionen, serviere appetitliche kleine Ensembles, darüber kannst Du Deine Zuneigung besser ausdrücken als mit Bergen auf dem Teller.
Rezept 3 – Es gibt Brei
Du kannst Suppen etwas andicken, Obstmuse selber herstellen, geschnittenes Gemüse oder Fleisch in kleine Häppchen zerteilen, dann ist das Schlucken einfacher.
Rezept 4 – Eis ist jetzt heiß
Kühle Flüssigkeiten oder kühler Brei erfrischen besser. Und einfrieren kannst Du fast alles – Apfelsaft, Apfelmus, Bier, Sekt, Wein, Cola, Kaffee, aber auch selbstgemachtes oder gekauftes Eis in beliebigen, auch „verrückten“ Geschmacksrichtungen.
Rezept 5 – Wer nicht will, der hat schon
Nicht quengeln, nicht drängeln. Mache ab und an ein Angebot: vielleicht stellst Du immer ein kleines Schälchen Obst auf den Tisch, immer ein frisches Getränk – aber beachte dabei Rezept 1.
Rezept 6 – Das Auge isst mit
Der Tisch am Bett, der Nachttisch, der Tisch, von dem gegessen wird … Gestalte den Platz für das Essen so schön, wie es eben geht. Da muss nicht die Nasensalbe stehen und den ganzen Tag über die Pillenschachtel.
Rezept 7 – Spritze statt Löffel
Irgendwann ist das Essen schon mechanisch so mühsam, eigentlich geht es nur noch um den Geschmack. Dann kannst Du ein Stofftaschentuch in Brühe tunken, den Tee mit der Spritze geben oder das scharf angebratene Gemüse oder Fleisch nur noch über die Lippen wischen.
Rezept 8 – Aushalten
Essen ist immer auch Ausdruck von Beziehung. Und so musst Du Dir klarmachen, dass Du vom Sterbenden nicht verschmäht wirst, nur weil vielleicht die leckeren Rouladen jetzt nicht mehr gefragt sind. Halte aus, dass Rezept 1 gilt. Wer stirbt, hat Recht, und auch das Recht, die Speisekarte zu gestalten. Liebe bedeutet manchmal auch, nichts zu tun.
Rezept 9 – Fragen
Wenn Du Dir unsicher bist, frage – die Hausärztin, die Palliativschwestern oder den SterbeLotsen. Es ist nicht sicher, ob es für Deine Frage eine Antwort gibt, aber zumindest noch einmal einen anderen Blick, und meist finden wir etwas als Antwort.
Den Text als PDF Das_letzte_Kochbuch